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und wurde 232 mal aufgerufen
 polBil ;-)
tschonn Offline



Beiträge: 10

11.04.2006 18:10
deutsches Soldatengedenken Antworten

und noch ein schöner Artikel, welcher am 10.04.2006 auf
Deutschlandradio-Kultur kam

Auf der Suche nach der verlorenen Trauer
Von Michael Stürmer
Es gibt keine Dorfkirche in Frankreich, wo nicht unter blau-weiß-roter Trikolore der Kriegstoten gedacht wird: "Mort pour la France" - gefallen für Frankreich. In Paris gibt es Gedenktafeln für jeden einzelnen Kämpfer der Resistance, der bei der Befreiung von Paris im August 1944 sein Leben verlor. Der Kult der Toten, Helden und Nicht-Helden, ist unübersehbar und vereint die Nation. Der Tag des Waffenstillstands 1918 bedeutet das Gedenken mehr an den Tod als an den Sieg.

Nicht anders in Großbritannien. Jedes Jahr im November sieht man auf den Straßen Londons Gentlemen im dunklen Straßenanzug, die kleine rote Blumen aus Papier feilhalten und dafür Spenden sammeln: "Red Poppies", die an die Schützengräben der Jahre 1914 bis 1918 erinnern, "Flanders's Fields". Die Totenmale sind unübersehbar nicht nur in jeder englischen und schottischen Stadt, sondern überall, wo das Empire seine Toten hinterließ, von Gallipoli am Eingang zu den Dardanellen bis Jerusalem, von Kairo bis New Delhi. Jeden Abend bläst noch immer ein Trompeter der Armee in Ypres in Flandern "The Last Post", das Trompetensignal des Abschieds über den Soldatengräbern. Der große Kreisel zwischen Knightsbridge und der Mall, die in Richtung Piccadilly führt, seitab Buckingham Palace, umspannt ein Ehrenmal für alle Zeiten und alle Waffengattungen. Die Invaliden tragen an hohen Fest- und Feiertagen Uniformen und Auszeichnungen.

In Deutschland? Die deutsche Demokratie hat noch keine Form gefunden, der Toten zu gedenken. Als Kanzler Kohl 1982 ein Denkmal für die Opfer der Kriege und der Gewalt am Bonner Rheinufer plante, gab es eine Flut von Protesten, die alles unter sich begrub. Der Kanzler wollte einen Ort, wo fremde Staatsbesucher einen Kranz niederlegen konnten, wie sie es überall tun, und wie es auch deutsche Staatsbesucher anderswo halten. Als der Kanzler 1988 im Herbst nach Moskau kam, legte er einen Kranz nieder am Grabmal des Unbekannten Soldaten unterhalb der Kremlmauer. .Da kam eine Ehrenkompanie, geführt von einem Oberst in Galauniform, der dem Kanzler auf Deutsch meldete: Die soundsovielte Kompanie des soundso Regiments der Tula-Division. Das war die Division, die bis Berlin marschiert war. Er habe, so der Oberst, einen Kranz niederzulegen zu Ehren der tapferen deutschen Soldaten, die ihr Leben in Russland gelassen hatten. Dem Kanzler nebst Gefolge verschlug es die Sprache, manche hatten Tränen in den Augen.

Hätte es nicht die Wiedervereinigung gegeben, so wäre noch immer in Deutschland die Stelle leer, wo andere Völker um ihre Toten trauern. Die Wiedervereinigung aber bewirkte, dass Schinkels Neue Wache in Berlin, Unter den Linden, zum gesamtdeutschen Denkmal wurde, wie vordem schon das der DDR, wo ausgerechnet der SED-Staat Erde von Nordafrika und Narvik, aus den Niederlanden und Polen ausgebreitet hatte - und aus zwei Konzentrationslagern der NS-Diktatur.

Man hätte meinen können, dass damit wieder so etwas wie Ruhe und Stil zurück gewonnen waren angesichts des Leidens, des Todes, und des Opfers. Aber die Deutschland-GmbH hat bis heute keinen Stil gefunden, keinen Modus und kein Zeremonial, um mit dem Gedenken an Tote umzugehen, die für das Land ihr leben ließen. Der Standortkommandant des Fliegerhorst Fürstenfeldbruck in Oberbayern sorgte dafür, dass sämtliche Fliegernamen aussortiert wurden. Nicht nur der mit dem Pour le Merite ausgezeichnete Manfred von Richthofen, der "Rote Baron", fiel dieser Geschichtsentsorgung anheim, sondern auch gleich noch der Gründer der amerikanischen Luftwaffe und der französische Flieger Antoine de Saint Exupery, vor allem bekannt als Autor des Buches "Der kleine Prinz". Richthofen, der am 21. April 1918 über der Front in Flandern abgeschossen wurde, gerade 25 Jahre alt, wurde damals von den Briten in einer feierlichen Zeremonie beigesetzt: Während sechs englische Offiziere, sämtlich Geschwaderführer, den Sarg auf ihre Schultern luden, feuerte ein Spalier britischer Soldaten Salut. Das britische Oberkommando sandte einen Kranz mit der Inschrift: "Dem tapferen und edlen Feind". Im schleppenden Slow-march, die Gewehrmündungen nach unten, ging der Zug zum Grabe. Heute ist der Name des Freiherrn von Richthofen für neudeutsche Political Correctness offenbar nicht mehr tragbar.

Lasst die Toten ihre Toten begraben, so trällert die Republik. Aber das wird früher oder später nicht mehr reichen. Deutschland wird, so das bekannte Wort des Verteidigungsministers Struck, auch am Hindukusch verteidigt. Das ist eine Gefahr bringende Sache, es hat Tote gegeben und es wird nach menschlichem Ermessen, weitere Todesmeldungen geben. Sie seien verstorben, einem Unfall zum Opfergefallen - heißt es verschämt, um das nach Krieg klingende Wort zu meiden sie seien gefallen für Deutschland. Es fehlt selbst an der Sprache. Heute stehen etwa 7000 deutsche Soldatinnen und Soldaten - ja, wo stehen sie eigentlich? Im Felde? An der Front? Das Wort erinnert an Ernstfall und Vergangenheit, und zumeist sind die Fronten in Afghanistan oder im Roten Meer auch denkbar unklar, überall und nirgendwo.

Nur die Trauer braucht einen Ort, wie seit ewigen Zeiten, eine Sprache, eine Form, ein Symbol - sonst kann sie den Soldaten nicht Haltung geben, den Überlebenden nicht Trost, der Republik nicht das Bewusstsein, dass es auf Tod und Leben geht.

Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u.a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im so genannten "Historikerstreit" entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", schreibt jetzt für die "Welt" und die "Welt am Sonntag".


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