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 Tradition
tschonn Offline



Beiträge: 10

16.06.2006 23:07
Großer Zapfenstreich 3.Teil Antworten

Unter den bundesdeutschen Militärritualen sticht der Große Zapfenstreich als ein besonderes Ritual hervor. Wie in kaum einem anderen Zeremoniell der Bundeswehr werden hier die unterschiedlichen Elemente des Militärzeremoniells zusammengeführt und mit einer geradezu sakralen Ästhetik öffentlichkeitswirksam inszeniert. Der Große Zapfenstreich vereint:
- den militärischen Massenaufmarsch
- den militärmusikalisch-feierlichen Eindruck
- den religiösen Bezug
- die geschichtspolitische Dimension
- die Integration ausländischer Staats- und Militärvertreter
Im Gegensatz zu den anderen Militärritualen, die in den vorhergehenden Abschnitten behandelt wurden, ist der Große Zapfenstreich ein "unspezifisches Ritual". Er kann zu unterschiedlichen Anlässen und an verschiedenen Orten aufgeführt werden und ist somit das flexibelste, ob seines Umfangs aber auch das aufwendigste Instrument staatlich-militärischer Selbstdarstellung in der BRD.
Historisch reichen die Wurzeln des Großen Zapfenstreichs bis in die Entstehungszeit des sogenannten Stehenden Heeres ins 17. Jahrhundert zurück. Bereits 1726 wurden die Ursprünge des Rituals schriftlich dokumentiert. Der militärtraditionell überlieferten Legende 162 gemäß verbrachten die frühneuzeitlichen Landsknechte ihre Abende in Schänken oder in Marketenderzelten.
Dann wurde zu einer bestimmten Zeit die Nachtordnung des Lagers hergestellt.
Hierfür zogen die »Tambours« zusammen mit dem »Spil«, bestehend aus Pfeifer und
Trommler, an den Ausschankstellen vorbei und markierten mit einem Stockschlag auf den Zapfen des Fasses das verbindliche Ende des Abends.Versuche,den »Zapfenstreich« genannten musikalischen Befehl zu unterlaufen, wurden - wie jede Befehlsverweigerung streng bestraft.
"Wenn eine Armee im Felde campiret, und es auf dem Abend anfängt etwas finster zu werden und Tag und Nacht sich scheiden, pflegen alle Tambours, ingleichen auch die Trompeter, vor ihren Regimentern zu erscheinen und sobald die Parole gegeben, auch bey der Artillerie ein Stück-Schuss oder die Losung geschiehet oder in dem Haupt-Quartiere die Retraite geblasen oder geschlagen wird, folgen alle anderen von Regimentern in gehöriger Ordnung denselben nach und marschieren die Tambours von der Infanterie um ihr gantzes Regiment, und schlägt eine jedwede Nation ihren besonderen Zapfenstreich, wie sie dessen gewohnt ist zu thun, ein jeder Regiments-Tambour führet seine unterhabenen Tambours in ihren Reyhen und Gliedern und gehet vor denselben her mit einem Stabe, wie denn solches auch muss observirt werden bey der Reveille und bey der Vergatterung. Wenn nun der Zapfenstreich geschlagen, müssen die Marquentender keine Gäste mehr halten oder setzen, sondern es muss alles nach den Quartieren und Zelten verfügen, und wird in den gemeinen Baraquen von denen Sergeanten und Corporalen Nachsuchung gethan, wer von den Compagnien mangelt"
(Fleming 1726)
Zeremonielle Bedeutung erlangte der Zapfenstreich in Preußen während der Kriege gegen die Napoleonischen Besatzungstruppen. In einem Befehl des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. bekam das Ritual im Mai 1813 seine Grundstruktur, die bis heute erhalten ist:
"Da bei allen Armeen der jetzt mit uns verbündeten Mächte, und namentlich bei den Russen, Österreichern und Schweden der Gebrauch stattfindet, des morgens nach beendigter Reveille, und des abends nach beendetem Zapfenstreich ein Gebet zu verrichten und es mein Wille ist, daß meine Truppen auch in Hinsicht der Gottesverehrung keinen anderen nachstehen sollen, und daß überhaupt bei denselben dem so notwendigen religiösen Sinn immer mehr Raum gegeben und jedes Mittel zur Belebung desselben angewendet werden möge,
so befehle ich hiermit: Daß die Wachen von jetzt an, wenn Reveille oder Zapfenstreich geschlagen wird, ins
Gewehr treten, sodann das Gewehr präsentieren, wieder schultern und abnehmen, hierauf den Czako usw. mit der linken Hand abnehmen und, ihn mit beiden Händen vor dem Gesicht haltend, ein stilles Gebet, etwa ein Vaterunser lang, verrichten sollen. Die Mannschaft nimmt mit dem kommandierenden Offizier, Unteroffizier usw. zugleich den Czako ab und setzt ihn ebenso wieder auf.
In den Feldlägern sollen die vor den Fahnen usw. versammelten Trompeter oder Hoboisten gleich nach beendigtem Zapfenstreich ein kurzes Abendlied blasen, nach welchem die vordem ohne Gewehr in Jacken oderMänteln heran getretenen Eskadronen oder Kompanien zugleich mit den Waffen das Haupt zum Gebet entblössen,
nach dessen Ende auf ein Signal mit der Trompete oder Trommel die Wachen aus dem Gewehr treten und die Kompanien usw. auseinander gehen.
Ich trage Ihnen auf, diesen Befehl den unter Ihrem Kommando stehenden Truppen wörtlich bekanntzumachen, und auf dessen Befolgung strenge zu halten." Die Grundstruktur Locken - Zapfenstreich - Gebet wurde von Wilhelm Wieprecht, dem Di-rektor sämtlicher Musikkorps des Preußischen Gardekorps, zusammengestellt und gilt bis heute.
1. Locken zum Zapfenstreich
2. Zapfenstreich
3. Retraite (das sind die drei Posten des Zapfenstreichs der berittenen Truppen)
4. Zeichen zum Gebet
5. Gebet (üblich: "Ich bete an die Macht der Liebe" von Bortnianski)
mit "Helm ab zum Gebet!"
6. Abschlagen nach dem Gebet
7. Ruf nach dem Gebet.
Im Zentrum des Großen Zapfenstreichs steht dabei ein Gebet in Form des Liedes "Ich bete an die Macht der Liebe". Eine detaillierte Beschreibung des Ablaufs dieses Zeremoniells fin-det sich in der Zapfenstreichbroschüre von Oberst Wilhelm Stephan:
"Der Große Zapfenstreich wird ausgeführt von Spielleuten und Musikkorps, die von zwei Zügen unter Gewehr und Fackelträgern begleitet werden. Führer des Großen Zapfenstreichs ist ein Truppenoffizier, der mindestens im Rang eines Stabsoffiziers steht und die für den Großen Zapfenstreich angeordneten Kommandos gibt. Die musikalische Leitung hat der Chef des Musikkorps oder, bei Ausführung in größerem Rahmen, der dienstälteste Musikchef.
Der Große Zapfenstreich marschiert unter den Klängen eines Armeemarsches auf den befohlenen Platz.
Nach dem Halten wird eine Linkswendung durchgeführt, der ein kurzes Ausrichten folgt. Auf ein weiteres Kommando treten die Fackelträger, der Chef des Musikkorps, der Tambourmajor, der Schellenbaumträger und evtl. der Kesselpauker an ihre Plätze. Sodann erfolgt die Meldung des Großen Zapfenstreichs an die zu ehrende Persönlichkeit.
Nach weiteren Kommandos beginnt nun üblicherweise eine Serenade in Form von einigen geeigneten Musikstücken nach der Wahl des zu Ehrenden. Nach Beendigung der Serenade beginnt auf das Kommando des Truppenoffiziers sodann der Große Zapfenstreich in der oben verzeichneten Spielfolge.
Vor dem Gebet erhalten die Waffenzüge das Kommando zum Abnehmen, nach dem Gebet das Kommando zum Aufsetzen des Helms. Beim Gebet - nachdem die Waffenzüge den Befehl 'Helm ab zum Gebet' haben - erheben sich alle zum 'Großen Zapfenstreich' geladenen Gäste. Die Herren nehmen ebenfalls ihre Kopfbedeckung ab. Nach Beendigung des Gebets - nach dem Kommando 'Helm auf' - nehmen alle Gäste wieder Platz.
Der Große Zapfenstreich wird nach dem Spielen der Nationalhymne - bei der sich alle Gäste nach ihrer jeweiligen Landessitte verhalten - durch den Truppenoffizier abgemeldet. Die Abmeldung des 'Großen Zapfen-streichs' erfolgt wie bei der Meldung an die zu ehrende Persönlichkeit. Nachdem die Fackelträger, der Chef des Musikkorps usw. ihre Marschplätze wieder eingenommen haben, wird eine Rechtswendung ausgeführt. Mit einem Wirbel von 8 Schritten und 8 Schlägen des Tambours und dem darauf folgenden Zapfenstreich (Zapfenstreichmarsch) marschiert der 'Große Zapfenstreich' ab. "Der Zapfenstreich gehörte zum militärrituellen Arsenal sowohl der BRD als auch der DDR.
In der BRD vor und nach der Vereinigung wurde der Große Zapfenstreich unzählige Male
aufgeführt. Anlässe ließen sich immer finden, so bei Besuchen als besonders wichtig erachteter Staatsoberhäupter wie z.B. General de Gaulle und Königin Elisabeth, bei aus dem Dienst scheidenden Ministern und Generälen und bei besonderen Gelegenheiten wie Jubiläen von Garnisonsstädten, Verabschiedung von Garnisonen, den Dezennien der Bundeswehr, dem 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke, dem 10. Jahrestag der Einheit und so weiter. Nach dem Wunsch der Veranstalter in den Standortkommandos und den zuständigen Regierungen finden solche Zapfenstreiche immer an möglichst bekannten, selbst symbolträchtigen, zentralen öffentlichen Orten statt: Schlösser mit entsprechendem Aufmarschraum (z.B. Neues Palais in
Potsdam), Rathausplätze (um Präsenz in der Mitte der Gesellschaft zu demonstrieren), zentrale nationale Symbolorte (z.B. Brandenburger Tor) oder auch einfach Orte, die einen Bezug zum Anlass aufweisen und sich mit möglichst wenig Aufwand gegen den antimilitaristischen Protest absperren lassen (z.b. beim Luftbrückengedenken der Tempelhofer Flughafen).
Zusammenfassend läßt sich feststellen: Bis Anfang der 1990er Jahre befand sich die Bundesrepublik Deutschland trotz aus Regierungssicht erfolgreicher Remilitarisierung der 1950er und 1960er Jahre im militärischen Ausnahmezustand: Im Schatten des Nationalsozialismus mochte der alte Glanz des Militärischen nicht wiederkehren. Den ›Feind‹ auf der anderen Seite der deutsch-deutschen Grenze hätte man lieber heute als morgen ›eingemeindet‹. Und "der Kalte Krieg, in militärischer Hinsicht definiert durch das atomare Patt, verordnete den Soldaten die permanente Wartestellung." (Wette 1994: 983) Nach dem jahrzehntelangen miliärischen ›Dornröschenschlaf‹ geht die Entwicklung heute wieder offensiv in eine andere Richtung. Mit einem neuen Selbstbewußtsein nach 1989 hat auch die militärische Selbstdarstellung - Zapfenstreich, Gelöbnisse, Kranzniederlegungen, militärische Ehrerweisungen bei Bestattungen - wieder an Attraktivität gewonnen. Geradezu idealtypisch für die "Renaissance des Militärischen" (Wolfram Wette) formulierte der Berliner Innensenator Ekkehart Werthe-bach
im Interview:
"Die Bundeswehr ist der Stabilitätsfaktor im Hinblick auf die äußere Sicherheit unseres Landes und wenn diese wichtigen Institutionen, die für die äußere und innere Sicherheit zuständig sind, voll in diese Demokratie integriert sind - sie sind Bestandteil des freiheitlichen Rechtsstaates - dann ist das für die Demokratie ein großer Gewinn. Und von daher erlebe ich das Gelöbnis als etwas, was ein demokratischer Akt ist, in dem Bundeswehr, Soldaten sich zeigen, als Teil dieses freiheitlichen Rechtsstaates. Und daß sie dieses öffentlich machen, stellvertretend für viele andere, ist für mich der Beweis dafür, daß die Bundeswehr auch von unsererGesellschaft akzeptiert wird, von unserer Gesellschaft angenommen wird. Und insofern ist das für mich ein -wenn Sie so wollen - ein symbolischer Akt und diese symbolischen Akte gehören auch zu unserer freiheitlichen Demokratie. Ich bin zutiefst überzeugt, daß die freiheitlichen Demokratien zu wenig symbolische
Akte haben. Ob das nun das öffentliche Gelöbnis oder auch der Große Zapfenstreich ist. Den letzten, den ich mir angeschaut habe, den fand ich besonders eindrucksvoll. Er fand statt vor dem neuen Palais in Potsdam. Sehr eindrucksvoll nicht nur der Ablauf sondern auch tatsächlich der Ort, der damals gewählt wurde." (Werthebach, Interview: 2001: 191,193)
Militärisch-patriotische Identifikationsmechanismen von unten, ausgelöst durch Traditionspflege im Militär, und die Pflege militärischen Zeremoniells im Rahmen öffentlich-publikumswirksamer Staatsrepräsentation von oben - von vielen Seiten wird im Zuge dieses Trends heute das "bundesdeutsche Untermaß an Repräsentation" beklagt und endlich die "Selbstannahme der Deutschen" gefordert. Der Große Zapfenstreich 1995 vor dem Branden-burger Tor steht wohl wie kaum ein anderes Zeremoniell für diese geistige Wende: hin zu einem Mehr an nationaler und militärischer Repräsentation - hin zu einem ›Mehr an Normalität‹

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